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1195
Im Mittelalter gab es in diesem Gebiet die bischöfliche Altstadt mit dem Dom, eine neue Hafenanlage und ein neues Stadtgebiet (die Neustadt). Dessen Bewohnerinnen und Bewohner lebten überwiegend vom Handel und von der Schifffahrt. Auf ihren Wunsch hin ließ der Landesherr, Graf Adolf III von Schauenburg, eine Kapelle mit einer Breite von 12 Metern und einer Länge von 26 Metern errichten. Sie fasste 300 Personen und war dem heiligen Nikolaus geweiht, dem Schutzpatron der Seefahrer und Reisenden.
1240–1353
In den folgenden Jahren wurde St. Nikolai mehrmals durch Um- und Anbauten vergrößert. Bei der ersten Erweiterung ist die Kapelle als Chor eingefasst worden, so dass der ursprüngliche Raum den Altarbereich der neuen Kirche bildete. Später hat die Gemeinde eine 22 Meter hohe, dreischiffige und fast quadratische Halle aus Backstein anbauen lassen. Sie hatte schlanke Pfeiler, Spitzbögen und gegliederte Fenster – erste Merkmale der späteren Gotik. Die Kirche bot 1.000 Menschen Platz.
1384–1425
Die zweite große Erweiterung erfolgte zwischen 1384 und 1400. Die Kirchenschiffe wurden verlängert und der Gesamtbau verbreitert, so dass der Bau 1.500 Menschen fassen konnte. Zwischen 1400 und 1425 bekam der Hauptraum eine neue Apsis und weitere Seitenanbauten. Ein Beinhaus für die Umbettung von Gebeinen des überfüllten Kirchhofs wurde errichtet ebenso der Stumpf für einen geplanten Turm.
St. Nikolai hatte zwei ungewöhnliche Merkmale. Zum einen wurden alle Erweiterungen in Backstein ausgeführt. Zum anderen zeigte die Westfassade einen von zwei Hallen gerahmten Turm. Tatsächlich waren es drei Kirchenschiffe, das mittlere befand sich hinter dem Turm.
1518–1657
Der erste Turm war sechseckig, hatte einen spitzen Helm und wurde von Hinrich Bendes errichtet. Mit 135 Metern war er der höchste Kirchturm Hamburgs. 1589 zerstörte ihn ein Blitzeinschlag. Von 1591 bis 1593 entstand unter Hans Petersen ein neuer Turm, der 1644 nach einem Unwetter einstürzte. Der dritte Turm wurde 1657 gebaut, entworfen vom Architekten Peter Marquardt. Er hatte drei glockenförmige Teile mit zwei Ausätzen, die die Kirche barock wirken ließen. Er stand 200 Jahre.
1518–1657
Der Innenraum soll ebenso eindrucksvoll gewesen sein wie das Äußere. Mit den verwendeten Materialien hob sich St. Nikolai von typischen Hamburger Backsteinkirchen ab: Verwendet wurden gelber Backstein und Sandstein. Einige Bereiche wie der Altar und der Fußboden waren aufwendig aus weißem und farbigem Marmor aus Carrara gestaltet. Besondere Wirkung sollen die großen, hohen Fenster mit ihrem zum Teil durchgefärbten Glas gehabt haben. Die Chorfenster zeigten Szenen aus dem Leben Jesu.
1842
1842 hatte sich ein Feuer, das von einem der Kaufmannshäuser in der nahen Deichstraße ausging, innerhalb kurzer Zeit über das gesamte Nikolaiviertel verbreitet. Die Kirchenglocken von St Nikolai läuteten Sturm. 1.500 Feuerwehrleute kämpften erfolglos gegen die Flammen. „Der große Brand“ ging als die größte Feuerkatastrophe Hamburgs in die Geschichte ein. Nicht nur die Kirche und der Stadtteil wurden bis auf die Grundmauern zerstört, sondern fast das gesamte mittelalterliche Hamburg.
1842–1843
Obwohl sich der aus Hamburg stammende Architekt Gottfried Semper dagegen aussprach, wurde das Gebiet um den Hopfenmarkt nach dem Brand neu geplant. Eine Bürgerbewegung hatte sich mit der Idee des kompletten Neubaus von St. Nikolai durchgesetzt. Zwei Drittel der Haushalte spendeten dafür. Semper dagegen hatte empfohlen, behutsam mit den Resten umzugehen und sie in den Neubau zu integrieren – ein Grundgedanke des Denkmalschutzes. Doch sie wurden abgetragen und ein Bauplatz weiter östlich gefunden.
1844
1844 wurde der Architekturwettbewerb ausgeschrieben. 44 Entwürfe gingen ein. Gottfried Semper gewann mit einem für die damalige Zeit modernen, neoromanischen Kuppelbau – ähnlich der Frauenkirche in Dresden. Gebaut wurde der neogotische Entwurf des Drittplatzierten, des Engländers George Gilbert Scott. Grund war die allgemeine Begeisterung für die als „deutsch“ geltende mittelalterliche Gotik. Vor allem die Kirchengemeinde setzte sich für den Bau als Burg gegen die Versuchungen der Moderne ein.
1846–1882
Es dauerte 36 Jahre, bis die neue Kirche fertig war. 1846 wurde der Grundstein gelegt und 1859 Richtfest gefeiert. Es entstand das bedeutendste Gotteshaus der Neugotik. Der Bau hatte drei Kirchenschiffe von jeweils 86 Metern Länge, ein Querhaus und drei Altarräume. Der Turm war mit seinen 147,3 Metern monumental – der höchste Kirchturm der damaligen Welt. Neben ihm befand sich eine kleine Taufkapelle. Eingeweiht wurde die St. Nikolaikirche 1863, der Turm 1874. Die Orgel kam erst 1891 dazu.
64 Skulpturen von Personen der biblischen Heilsgeschichte, aber auch der Theologie, der Wissenschaft und der Kunst wie Martin Luther, Albrecht Dürer und Johann Sebastian Bach sollten die Kirche schmücken. Aus Kostengründen wurden nur 30 Figuren realisiert.
1888–1943
Das neue Turmglockenspiel erklang zum ersten Mal 1888. Es bestand aus 28 Glocken, die von Severin van Aerschodt in Löwen in Flandern gegossen worden waren. Die größte Glocke wog 6.372,5 Kilogramm und wurde „Kaiserglocke“ genannt, weil Kaiser Wilhelm I. für sie gespendet hatte. Im Ersten Weltkrieg wurden alle Glocken beschlagnahmt, übrig blieb nur die kleinste. Diese letzte Glocke von St. Nikolai ging im Zweiten Weltkrieg verloren – sie schmolz 1943 bei der Bombardierung.
1943
Vom 25. Juli bis zum 3. August 1943 flog die Royal Air Force fünf Nachtangriffe im Wechsel mit zwei Tagangriffen durch die United States Air Force. Der Kirchturm von St. Nikolai war ihr Orientierungspunkt. Sie bombardierten den Hafen, die Innenstadt und weite Teile der Wohngebiete, vor allem die östlich der Alster gelegenen. Die Mischung aus Spreng- und Brandbomben führte dazu, dass die Häuser aufbrachen und sich ein Feuersturm entfachte, dessen Flammen zeitweilig 6.000 Meter in die Höhe schossen.
Die Kirche St. Nikolai, einst von einem jungen Engländer erbaut, war die Zielmarke für die englischen und US-amerikanischen Luftstreitkräfte, weil sie das höchste Gebäude der Stadt Hamburg war. Wie durch ein Wunder überstand der Turm den Zweiten Weltkrieg.
1944
Die statistische Bilanz des Bombardements der Stadt gibt eine Ahnung vom Ausmaß der Angriffe. Etwa 34.000 Menschen waren im Feuersturm zu Tode gekommen. Rund 40.000 Wohnhäuser mit über 263.000 Wohnungen waren zertrümmert – das entsprach der Hälfte des Wohnraums, den es zu jener Zeit gegeben hatte. Vor allem der Osten Hamburgs war schwer betroffen. Von der Kirche St. Nikolai waren große Teile der Kirchenschiffe verwüstet. Einzig der schlanke Kirchturm ragte nahezu unbeschadet aus dem Trümmerfeld.
1945–1950
Nach Kriegsende stellte sich im Zuge des Wiederaufbaus und der Neuplanung der Stadt auch die Frage, was mit St. Nikolai geschehen soll. Gegen den Wiederaufbau gab es Widerstand. Es hieß, er würde zu teuer, ästhetisch und denkmalpflegerisch unbefriedigend. Der Kirchenvorstand schlug vor, die Kirche als Mahnmal zu nutzen. Ungeachtet der Diskussion begannen die Verantwortlichen der Stadt, die Überreste zu sprengen und den gut erhaltenen Altarbereich sowie die Mauern des Kirchenschiffs abzureißen.
1951–1960
Lange wurde um den Ort verhandelt. In einem Briefwechsel zwischen Senat und Kirche fand sich sogar der untragbare Begriff von der „Endlösung St. Nikolai“. Die Mehrheit der Verantwortlichen sah in diesem baulichen Erbe des Krieges eine „Verlegenheit in der Mitte Hamburgs“. Schließlich einigte man sich mit Bürgermeister Max Brauer darauf, wenigstens die Reste der Kirche und des Turms zu erhalten. Die Sanierungsarbeiten begannen 1955. Fünf Jahre später wurde die Ruine unter Denkmalschutz gestellt.
1971–1977
Der Senat gab 1971 die Pläne auf, die Ruine zur Gedenkstätte auszubauen. So wurde sie 1977 nur als Gedächtnisstätte für die Hamburger Bombenopfer eingeweiht. Einige Bürgerinnen und Bürger erkannten jedoch den Wert des Ortes für die Vermittlung der Geschichte und gründeten 1987 den Verein „Rettet die Nikolaikirche“ e.V. Sie engagierten sich für ihren Erhalt, beantragten öffentliche Gelder und sammelten Spenden. Schließlich konnte in den erhaltenen Gewölben die erste Ausstellung gezeigt werden.
2012 bis heute
Den Mitgliedern des Vereins ist es gelungen, die Ruine der Kirche zu retten und dafür zu sorgen, dass die Dauerausstellung überarbeitet werden konnte. Der Verein heißt seitdem „Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V.“ – und dieser Ort im Herzen der Stadt ist nicht mehr nur ein zentraler Gedenkort oder ein Ort, der Geschichte vermittelt. Er bietet auch Raum zum Innehalten und ermöglicht Austausch. Damit ist er heute, mehr denn je, ein Ort der Begegnung.